5. 11. 2008
Der AK Gem nimmt aus integrationspädagogischer Sicht zu den „Eckpunkten…“ wie folgt Stellung:
- Der AK Gem begrüßt es, dass die gegenwärtige Koalition bemüht ist, „die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft zu verringern“ und so zu mehr Chancengleichheit und sozialem Zusammenhalt in der Gesellschaft beizutragen. Er teilt die Begründung für den Vorschlag, die Hauptschule aufzulösen. Die ungünstigen Lernmilieus in Hauptschulklassen behindern Schülerinnen und Schüler deutlich in ihren Lern- und Sozialentwicklungen. Diese Befunde sind durch die PISA-Analysen empirisch gut abgesichert.
- Diese Begründung gilt jedoch auch für die Sonderschulen, insbesondere für die Klassen und Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache. Diese Schulen sind noch deutlicher als die Hauptschulen ungünstige Lern- und Sozialmilieus. Das hat die einschlägige sonderpädagogische und integrationspädagogische internationale und nationale Forschung vielfach bestätigt. Dies kann auch durch die Bemühungen der Lehrkräfte nicht kompensiert werden. Es ist unverständlich, warum die auf die Hauptschule bezogenen Argumente nicht auch auf die Sonderschulen bezogen werden. Sonderschülerinnen und Sonderschüler stammen, wie alle Studien zeigen, überwiegend aus sozial belasteten Familien. Wenn es um Chancenungleichheit und deren Abbau geht, dürfen sie nicht vergessen werden.
- Sowohl in der grafischen Darstellung zur „Entwicklung der Schulstruktur“ als auch im Text der „Eckpunkte“ werden weder die Sonderschulen noch die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die allgemeinen Sekundarschulen auch nur erwähnt. Die Vorgabe des Berliner Schulgesetzes, dass nämlich der „Vorrang“ der Integration – in allen Schulstufen – gelte, wird nicht diskutiert in Bezug auf die vorgeschlagene neue Schulstruktur. Das ist inakzeptabel. Der AK Gem verweist nicht zuletzt darauf, dass mit der Übernahme der UN-Übereinkunft über die Rechte der Menschen mit Behinderungen, die demnächst in Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird und innerstaatliche Rechtskraft erhält, „full inclusion“ aller Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen gefordert wird.
- Der AK Gem fordert, dass ein Konzept für die Beendigung separater Erziehung und Unterrichtung in Berlin entwickelt wird und in einem ersten Schritt die Schule für Lernbehinderte jahrgangsweise ausläuft, indem keine neuen Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden und die vorhandenen sonderpädagogischen Kompetenzen entsprechend in alle allgemeinen Schulen (Grundschulen und alle Sekundarschularten) verlagert werden. Entsprechend sollte auch mit den höchst problematischen Sonderklassen für verhaltensschwierige Schülerinnen und Schüler und mit den Schulen für den Förderschwerpunkt Sprache verfahren werden.
- Der AK Gem hält zur Unterstützung der allgemeinen Schulen als integrative bzw. inklusive Schulen die Einrichtung von Unterstützungs-Centers in jeder Schule für erforderlich. Dort sollte die individuelle Förderung sowohl im sonderpädagogischen, im sprachlichen und im Bereich der Talentförderung organisatorisch und räumlich gebündelt werden. Sie werden der Schulleitung direkt zugeordnet. Der AK Gem hat dafür einen konkreten und weitgehend kostenneutralen Finanzierungsvorschlag entwickelt.
- Der AK Gem hält in Übereinstimmung mit der internationalen Schulentwicklung grundsätzlich eine gemeinsame Schule für die pädagogisch und sozialpolitisch richtige Perspektive, auch im Sekundarbereich. Ein neues dreigliedriges Schulsystem – „Regionalschule“, Gymnasium, Sonderschulen – löst weder die sozialen noch die pädagogischen Probleme. Sollte ernsthaft von einem „zweigliedrigen“ System gesprochen werden, müsste zum einen die sonderpädagogische Förderung vollständig integriert werden. Zum anderen müssten die Voraussetzungen, in eine der beiden „Säulen“ einzutreten bzw. aus diesen nicht mehr ausgesondert zu werden, auch tatsächlich gleichwertig sein. Das bedeutet: Gleiche Aufnahmekriterien; keine Abschulungsmaßnahmen (weder aus Grund- und „Regionalschulen“ in Sonderschulen noch aus Gymnasien in „Regionalschulen“); Einrichtungen individueller Förderung sowohl leistungsstarker als auch leistungsschwacher und behinderter Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen, ebenso wie in allen Schulformen gezielte Hilfen bei Verhaltensproblemen und neben der Einbeziehung von Sonderpädagogen die verbindliche Vernetzung mit der Jugendhilfe.