Arbeitskreis Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher (AK GEM) Sprecher: Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz, Peter Heyer, Monika Rebitzki, Manfred Rosenberger TU Berlin, Franklinstr. 28/29, D-10587 Berlin, Sekr. FR 4-3, Tel. 030/314-73205/7, FAX 314-73223 e-mail: preuss-lausitz@tu-berlin.de e-mail: monika.foit@tu-berlin.de An die bildungspolitischen Vertreterinnen und Vertreter der Parteien des Abgeordnetenhauses der Legislaturperiode 2001-2006 18. März 2002 Betr.: Bildungspolitische Forderungen des AK Gem an die rot-rote neue Regierung und ihre Fraktionen Sehr geehrte Damen und Herren, wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Mandat und möchten Ihnen zugleich die Forderungen des Arbeitskreises Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher (AK GEM) vorlegen. Der AK GEM ist ein freier Zusammenschluss von Lehrkräften, Eltern, Wissenschaftler/inn/en, Studierenden und Vertretern aus verschiedenen Vereinigungen und Verbänden, dem es um die Realisierung der Integration auf allen Ebenen des Bildungswesens geht. Er besteht seit Dezember 1991 und versucht insbesondere, mit allen Parteien des Abgeordnetenhauses, mit den jeweils verantwortlichen Vertretern der Senatsverwaltungen, mit Gewerkschaften, Verbänden und mit Schulen in einem kontinuierlichen Dialog Vorschläge zu entwickeln und die entsprechende Politik kritisch und praktisch zu begleiten. In diesem Sinne haben wir für die nun beginnende Legislaturperiode unsere Forderungen und Positionen zusammengestellt. Wir sind gern bereit, Sie mit Ihnen auf Wunsch auch persönlich zu erläutern. Wir hoffen und wünschen uns, dass viele dieser Forderungen in den nächsten Jahren realisiert werden können. Der AK GEM erwartet aus integrationspädagogischer Sicht von der neuen Regierung, dass in der neuen Legislaturperiode folgende Punkte verwirklicht werden, und hofft, dass die Parteien des Abgeordnetenhauses diese Forderungen unterstützen: • Alle Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf müssen das Recht haben, bis zum Ende ihrer Schulzeit auf Wunsch am gemeinsamen Unterricht in der Regelschule teilnehmen zu können. • Der gesondert für GU formulierte Haushaltsvorbehalt muss im Schulgesetz verschwinden. Die Lehrerstellen-Etats für die Sonderschulen und den GU sollen zusammengefasst werden. • Schulleiter/innen dürfen nicht, wie im Entwurf des Schulgesetzes vorgesehen, Kinder mit sonderpädagogischen Gründen ablehnen dürfen. Diese Entscheidung muss bei der Schulaufsicht bleiben. • Die Rahmenpläne der Berliner Schule sind so zu überarbeiten, dass diejenigen der Sonderschulen/sonderpädagogischen Förderung in die allgemeinen Rahmenpläne integriert werden. • Integrativ arbeitende Sonderpädago/inn/en (besonders für die Bereiche Lernen, Verhalten und Sprache) sollen stellenmäßig an den allg. Schulen geführt werden. Sie sollen auch für den sonderpädagogischen Teil der Kind-Umfeld-Diagnostik an ihrer Schule zuständig bleiben. • Ort des Förderausschusses soll grundsätzlich die zuständige Grundschule sein. • Das Förderausschussverfahren soll beibehalten werden, damit individuelle Förderpläne auf fachlicher Grundlage entwickelt und dokumentiert werden können. Die Förderausschüsse sollen durch multiprofessionelle Teams (von denjenigen, die die Kinder schon kennen) unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten durchgeführt werden. • Im LISUM soll ein Fortbildungsschwerpunkt „Lernen unter Bedingungen von Heterogenität“ (der kognitiven, physischen, ethnischen und anderer Unterschiede) dauerhaft installiert werden. • Der Schulversuch Integration geistig Behinderter in der Sekundarstufe I soll fortgeführt werden. Eine Auswertung soll bis 2003 vorgelegt werden, damit die daraus gezogenen Schlussfolgerungen dann als Regelfall in die allgemeinen Schulen übernommen werden können. • Der Schulversuch Berufliche Orientierung für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf soll ebenfalls fortgeführt werden. Eine Auswertung soll bis 2003 vorgelegt und die Schlussfolgerungen sollen in den allgemeinen Sekundarschulen realisiert werden. • Die Sonderschulen für Lernbehinderte und für Sprachbehinderte sollen schrittweise auslaufen, indem keine neuen Klassen eröffnet werden, und das pädagogische Personal in die allgemeinen Schulen verlagert werden (wie dies z.B. Bremerhaven schon verwirklicht hat). • Bei der Verpflichtung aller Schulen (durch das neue BerlSchG), Schulprogramme aufzulegen, soll verlangt werden, dass alle Schulen sich darüber äußern, wie sie den gemeinsamen Unterricht in ihrer Schule verankern und stärken können . (Auch in der schulinternen Evaluation muss dies ein ständiger Merkposten sein.) • Das Amt des Behindertenbeauftragten des Landes Berlin muss stärker in politische Entscheidungen einbezogen werden, nicht nur in unmittelbar erkennbar behindertenspezifische Entscheidungen, sondern auch in solche etwa der Bildungs-, Jugend-, Sozial und Verkehrspolitik, die voraussichtlich behinderungsbezogene Auswirkungen haben. • Im Übrigen verweisen wir auf unser Papier vom September 1998 „Neue Wege zur Weiterentwicklung der gemeinsamen Erziehung “, dessen 8 Punkte erst teilweise realisert worden sind. Hier zur Erinnerung diese acht Forderungen: • gesetzlicher Vorrang der gemeinsamen Erziehung (im Entwurf des BerlSchG enthalten); • Integrierte Rahmenpläne; • Integrationspädagogische Lehrerkompetenz für alle (bislang nur in Form einer Pflichtlehrveranstaltung realisiert); • Integration des Lehramts „Lehrer an Sonderschulen“ (in die Lehrämter L 1-5) und Ermöglichung, Sonderpädagogik auch als 2. Fach studieren zu können; • Modellversuch zur Integration behinderter Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache; • Schrittweise Auflösung der Sonderschulen für Lernbehinderte und für Sprachbehinderte durch jährliche Nichteröffnung neuer Klassen; • landesweite Schulentwicklungsplanung für Integration (anstelle von jährlichem Streit über Stellen und Bittstellersituation vieler Eltern); • Sicherung der integrationspädagogischen Fortbildung. Auch unsere Forderungen im Papier zum „ Gemeinsamen Unterricht in Grundschulen sozialer Brennpunkte“ vom April 2000, die wir mit dem Schulsenator diskutiert haben, sind weiterhin gültig. Dort werden eine Senkung der Klassenfrequenzen und vernünftige Vorgaben für die Lehrerausstattung in Integrationsklassen, die Einführung der „verlässlichen Halbtagsschule“ als Zwischenschritt zur Ganztagsschule und die Einstellung und Qualifizierung von Muttersprachler-Lehrern genannt. Mit der Senkung der Klassenfrequenzen in Grundschulen sozialer Brennpunkte wurde begonnen. Es muss sichergestellt werden, dass bei Einführung der integrierten Eingangsstufe die präventive wie reaktive sonderpädagogische Förderung ihren angemessenen Platz findet. Der AK GEM begrüßt im Übrigen die Stellungnahmen und die inhaltliche Tendenz der Papiere von Grundschulpädagog/inn/en vom Oktober 2001 und von Schulleiter/inn/en der Sekundarstufe I vom Juli 2001 und sieht große Übereinstimmungen. Wir halten es für nötig, dass die neue Regierung der integrationspädagogischen Entwicklung neue Impulse und einen sicheren Entwicklungsrahmen für qualitätsvolle Arbeit gibt. Es ist wünschenswert, wenn eine gemeinsame dauerhafte Konferenz zur Realisierung und Koordination der verschiedenen Forderungen eingerichtet würde. Der Beirat Sonderpädagogik/Integration ist für diesen Zweck ungeeignet, zumal er für Eltern, Verbände, Gewerkschaften, das Amt des Behindertenbeauftragten und Selbsthilfegruppen nicht geöffnet ist. Diese Institutionen und Gruppen müssen aber im Sinne einer kunden- und demokratieorientierten und vernetzten Förderung mit einbezogen werden. Mit freundlichem Gruß im Namen des AK GEM Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz